WERFT DIE BÜCHER WEG UND GEHT AUF DIE STRASSE (Sho o suteyo, machi e deyou)

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Japan 1971
Regie, Drehbuch: Shuji Terayama
Produzent: Hikokisha Jinriki, Eiko Kujo
Kamera: Masayoshi Sukita, Seizo Sengen
Musik: Tokyo Kid Brothers, J.A. Saezar, Itsuro Shimoda, Hiroyoshi Yanagida
Darsteller: Hideaki Sasaki, Masaharu Saito, Yukiko Kobayashi
137 min

Agitprop-Popart-Phantasmagorium für Jodorowsky- und Makawejew-Afficionados

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Shuji Terayama (10.12.1935-4.5.1983) ist der Inbegriff eines Kunst-Workaholic. Obwohl er nur 47 Jahre alt wurde, ist die Liste seiner Gedichtbände, Essays, Novellen, Romane, Hörspiele, Drehbücher- und Vorlagen, Theaterstücke, Kurz- und Langfilme schier gigantisch.
Shuji Teryamas Vater starb kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, als Klein Shuji acht Jahre alt war. Während seine Mutter arbeiten ging, wuchs er bei seinem Onkel auf, der ein kleines Theater zu einem Kino umgebaut hatte; Shujis Zimmer lag direkt hinter der Leinwand. Mit 12 Jahren veröffentlichte Shuji erste Gedichte und Märchen in Schülerzeitungen, mit 16 war er Herausgeber eines „Poesie Magazins“, das in ganz Japan erschien, und mit 17 organisierte er ein japanweites Haiku-Gedicht-Festival.
Als er mit 18 aufgrund einer chronischen Nierenentzündung ein gerade begonnenes Literaturstudium abbrechen musste, fing er während seiner zahlreichen Krankenhausaufenthalte an, neben Gedichten auch Romane und Hörspiele zu schreiben. Seine Vorbilder waren u.a. Sartre, Bataille, Kafka, Freud, Capote und die Surrealisten. Sein absolutes Lieblingsbuch war Lautreamonts „Gesänge des Maldoror“, das einen großen Einfluss auf sein Gesamtwerk nahm. Wenn er nicht im Krankenhaus lag, trieb er sich meistens in den Kneipen von Shinjuku rum und behauptete später, dass er beim Boxen und bei Pferderennen mehr über das Leben gelernt hätte als in Büchern.
1960 schrieb und produzierte er das Hörspiel Otona-Gari (Adult Hunting), das stilistisch Orson Welles berühmten Hörspiel War of the Worlds nachempfunden war und von einer Revolution der Kinder handelte, die die Straßen von Tokio eroberten. Das Hörspiel löste zwar keine Panik bei den Hörern aus, aber immerhin bei der „nationalen Kommission für öffentliche Sicherheit“, die ihm daraufhin einen Besuch abstattete. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass im selben Jahr Millionen (!) von Japanern auf die Straße gingen, um gegen den ANPO-Sicherheitsvertrag zu demonstrieren.
Ebenfalls ab 1960 inszenierte Terayama diverse Kunst-Kurzfilme. Neben Gedichtbänden, Essaybänden und Romanen schrieb er in den 60ern Drehbücher u.a. für Susumu Hani und Masahiro Shinoda. Bekannt wurde er aber als Autor und Regisseur von über 20 Theaterstücken (allein in den 60ern!) und gilt seitdem als einer der einflussreichsten japanischen Avantgardisten. Mit seiner 1967 gegründeten Theatergruppe Tenjo Sajiki („Stehplatz im oberen Rang“) war er so erfolgreich, dass er mit ihr auf weltweite Theatertourneen ging. Doch der Wunsch, selbst Filme zu drehen, ließ ihn nicht los. Terayama wollte als Kind schon Fotograf werden und Filme fehlten noch im Gesamtkunstwerk. Bewusst oder unbewusst war das zehnjährige Jubiläum seines Hörspiels Otona-gari (und die zeitgleiche Eskalation japanischer Studentenproteste aufgrund der ersten ANPO-Verlängerung) der Anlass, den Experimental-Langfilm TOMATO KECHAPPU KOTEI (KAISER TOMATO KETCHUP) zu drehen.
Terayamas Film ist die Antwort auf eine Zeit, in der Vietnamkriegsbilder um die Welt gingen: Ohne narrative Struktur zeigt Terayamas filmische Provokation, dass Kinder die Regierung gestürzt und die Macht übernommen haben. Eine Offstimme verliest die Gesetze des Kinderstaates (u.a. müssen die Schuhe des Kaisers von seinem Vater geleckt und darf die Bibel als Klopapier benutzt werden. Märchen und Sex gelten als oberste Priorität. Alle Erwachsenen, die sich nicht den Wünschen der Kinder fügen, werden mit dem Tod bestraft.) zu Szenen, in denen Erwachsene von Kindern gequält werden, ein Huhn geschlachtet wird oder erwachsene Frauen von dem kindlichen Kaiser als Sexspielzeuge und Ersatzmütter benutzt werden. In der 20-minütigen Schluss-Szene prügeln schließlich der Kaiser und ein Nazi-General aufeinander ein, bis beide vor Dreck triefen. Auch qualitativ sieht der rötlich eingefärbte, 72-minütige 16mm-s/w-Film aus wie auf dem Müllhaufen gefunden, aber strotzt dermaßen vor anarchischem Charme, dass er als Pflichtfilm in jedem Kunstunterricht eingeführt werden sollte.

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Der Sprung zur atg ließ nach diesem surrealen Auswurf allein schon aufgrund von Terayamas Nähe zu ihr nicht lange auf sich warten. Schon im nächsten Jahr produzierte die atg seinen SHO O SUTEYO MACHI E DEYOU (WERFT DIE BÜCHER WEG UND GEHT AUF DIE STRASSE), die Filmversion seines gleichnamigen Theaterstücks und Kunstbandes, die dem Zuschauer mit einer Laufzeit von gut zwei Stunden mehr oder weniger reiner Bilderflut einiges an Sitzfleisch abverlangte. Eingerahmt von direkten Zuschaueransprachen (Gleich in der allerersten fünfminütigen Einstellung spricht Hauptdarsteller Hideaki Sasaki direkt in die Kamera und beschwert sich unter anderem über die Passivität des Zuschauers; am Ende des Films verabschiedet er sich vom Zuschauer und vom Kino im Allgemeinen) folgt die Kamera dem arbeitslosen Eimei bei seinen täglichen Aktivitäten, seinen Streifzügen durch Tokio und den Auseinandersetzungen mit seiner gestörten Familie. Der Opa ist senil, die Schwester liebt ihr Lieblingshäschen nicht nur platonisch und Papa schenkt dem Sohn eine Nutte, um ihn zum Mann zu machen. Diese rudimentäre Geschichte wird von Terayama zusätzlich angereichert mit psychedelisch angehauchten Traumsequenzen, dokumentarischen Agitprop-Aktionen und Interviews sowie Vorläufern von Musikvideos, sodass ein kunterbuntes Porträt der japanischen End-60er-Gegenkultur entstand, das ein wunderbares Double-Feature mit Toshio Matsumotos BARA NO SORETSU (PFAHL IN MEINEM FLEISCH) ergeben würde.
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Dieser Text erschien leicht abgewandelt erstmalig im Splatting Image Nr.84, Dezember 2010

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Arthouse-Exploitation-Gewichtung 80:20

Schulnote: 2

Dieser Film beschert Menschen einen unterhaltsamen Abend, die
W.R. (Dusan Makawejew)
FANDO UND LIS (Alexandro Jodorowsky)
EMPEROR TOMATO KETCHUP (Shuji Terayama)
mochten

AESTHETICS OF A BULLET (Teppodama no bigaku)

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Japan 1973
Regie: Sadao Nakajima
Drehbuch: Tatsuo Nogami
Produzent: Kanji Amao
Kamera: Toshio Masuda
Musik: Ichiro Araki, Zuno Keisatsu („Gehirnpolizei“)
Darsteller: Tsunehiko Watase (Kiyoshi), Miki Sugimoto (Junko), Mitsuru Mori (Yoshiko), Jun Midorikawa (Ritsuko)
98 min

Miki Sugimoto 10: Yakuza-Kultfilm, weil Kunstanspruch

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Kiyoshi ist ein Loser und Möchtegern-Yakuza. Tagsüber arbeitet er als Koch und nachts vertreibt er sich die Zeit mit Glücksspielchen und Prahlereien, mit denen er tatsächlich nicht wenige Frauen in die Kiste bekommt. Als er aber eines Tages vor den Yakuza zu überzeugend mit seinen Fähigkeiten als Killer protzt, bekommt er sofort einen Auftrag. Doch das wird zum Problem, denn so hartgesotten wie Kiyoshi tut, ist er eben nicht. Und das gefällt den echt harten Jungs gar nicht….
Tsunehiko Watase und Miki Sugimoto scheinen nach AESTHETICS OF A BULLET irgendwie füreinander bestimmt gewesen zu sein. Insgesamt noch dreimal spielten sie mehr oder weniger die gleichen Rollen. Immer war Watase der Ganove und Sugimoto sein Liebchen. So auch in der Generalprobe dieser Konstellation und dann noch unter dem Kunst-Deckmantel der ART THEATRE GUILD (atg).
Das Budget war zwar, wie immer bei der atg, viel schmaler als bei Nakajimas Vertragsstudio Toei, doch aufgrund seines Bekanntheitsgrades und der projektbezogenen künstlerischen Ambitionen konnte er sogar klassischen Toei- und Nikkatsu-Cast für nen Appel und n Ei für seinen Exploitation-meets-Arthouse-Ausflug gewinnen. Theoretisch ist Nakajimas Ausbruch zwar die klassische Yakuza-Milieu-Geschichte, doch schon in den ersten Minuten ist zu erkennen, warum viele etablierte Regisseure aus dem Studiosystem ausbrachen, um bei der atg ihre kreativen Träume zu verwirklichen .
Denn wie Nakajima hier seine Geschichte erzählt, hätte bei Toei wohl kein Verantwortlicher abgesegnet (Um es mal in der Comic-Sprache auszudrücken, war Nikkatsu eher DC und Toei Marvel, was hieß, dass das Zielpublikum von Toei seeehr einfach gestrickt war und wohl stirnfaltig das Kino verlassen hätte).

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Das fängt schon an mit Kiyoshis TAXI DRIVER-ähnlichen Offkommentaren über sein Milieu, unterlegt von extremen Nahaufnahmen einer fressenden und saufenden japanischen Gesellschaft. Des Weiteren ist die Schnittfolge bzw. Montage trotz der klassischen Geschichte weitaus experimenteller als beim Dutzendware-Studio Toei. Das gilt auch für die Cadrage. Da wird die Kamera schon mal um 90 Grad gedreht, damit das Publikum halsverrenkend das Cinemascope-Format auch längs genießen kann.
Und das Ende, ja, das Ende des großen Ganoven Kiyoshi, ist einfach großartig lapidar. Dann sind da noch die zahlreichen Sexszenen, die mit einer Intensität und einem Realismus glänzen, dass man sich etwas wundert, warum das z.B. nicht für die meisten Roman Porno galt. Anscheinend schien es damals ein ungeschriebenes Gesetz bei den „Proll-Studios“ gewesen zu sein, jegliche Schauspielerei inkl. Vögeln mit Over-Acting abzustrafen. Die zahlreichen Regisseure hätten wohl auch anders gekonnt, siehe hier. Womit ich auch abschließend zu Sugimoto überleite.
Denn da muss ich anmerken, dass sie als Junko in AESTHETICS OF A BULLET zwar nur eines von Kiyoshis Liebchen ist und nur etwa zwanzig Minuten den Film bereichert, aber die haben es in sich. Fast wie ein Vorläufer von WILD AT HEART werden z.B. Fickszenen mit Kiyoshis Alltag unterschnitten. Höhepunkt dieser kurzen Affäre ist dann ein kleines Rollenspielchen, in dem die Prügel-Ikone wuff-wuff-machend nackt durch ein Hotelzimmer krabbelt (und wieder was gelernt: Während in Deutschland Hunde Wau oder Wuff machen, machen sie in Japan Wa-wa-waff), Kiyoshi schließlich auf der Hündin reitet und beide laut lachend das Spielchen beenden.
Nakajimas einziger atg-Film ist in Japan zum Kultfilm avanciert, was neben dem Prä-Punkrock-Titelsong „Fuzakeru n jane yo“ von Zuno Keisatsu auch u.a. an der Unerhältlichkeit jenseits einer Kinokopie lag. Es wurde nie eine DVD, noch nicht einmal eine VHS veröffentlicht, aber es gibt ja auch in Japan mittlerweile Pay-TV.
AESTHETICS OF A BULLET ist eine echte Perle des Yakuzafilms und kann sich dank seiner Milieutreue und dem ihm innewohnenden Nihilismus problemlos neben Fukasakus GRAVEYARD OF HONOR stellen.
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Arthouse-Exploitation-Gewichtung 50:50

Schulnote: 1

Dieser Film beschert Menschen einen unterhaltsamen Abend, die
GIRL BOSS 5: ESCAPE FROM REFORM SCHHOL (Sadao Nakajima)
GRAVEYARD OF HONOR (Kinji Fukasaku)
TAXI DRIVER (Martin Scorsese)
mochten

MANDARA (Mandala)

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Japan 1971
Regie: Akio Jissoji
Drehbuch: Toshiro Ishido
Produzent: Toyoaki Dan
Kamera: Yuzo Inagaki
Musik: Toru Fuyuki
Darsteller: Shin Kishida, Koji Shimizu, Hiroko Sakurai, Akiko Mori
136 min

Jissojis Buddhismus-Trilogie Teil 2: Sexuelle Gewalt und Hippieträume

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1971 drehte Akio Jissoji den zweiten Teil seiner Buddhismus-Trilogie für die atg. Der Vorgänger MUJO war in seinem Anliegen schon gewagt, wurde aber mit MANDARA noch gesteigert: Shinichi und Yukiko, ein sexuell überdrüssiges Pärchen, werden an einem Strand von zwei Unbekannten überfallen, die Shinichi zusammenschlagen und Yukiko vergewaltigen. Traumatisiert, aber neugierig kehrt das Pärchen bald zum Tatort zurück. Dort treffen sie erneut auf die zwei Männer und deren Anstifter. Der offenbart ihnen, dass diese Vergewaltigung Teil eines Initiationsritus einer Sekte ist, die er in den Bergen leitet. Die Sekte lehnt soziale und sexuelle Normen ab, um durch Nahtod-Erfahrungen zu einem primitiveren, aber emotional „echtem“ Leben zurückzukehren. Das Pärchen tritt dem Kult bei, doch als eine Frau nach einem Vergewaltigungs-Ritual Selbstmord begeht, wird sein Ende eingeleitet. Der letzte Überlebende kauft sich vom Sektenvermögen ein antikes Schwert und das „Manyoshu“, die älteste Gedichtesammlung Japans, und fährt in die Zivilisation zurück. Was dort passieren wird, bleibt offen.
MANDARA ist wildes, intellektuell anspruchsvolles Kino, seinem Vorgänger sehr ähnlich, lediglich die Bilder sind jetzt größtenteils in Farbe. Das heißt wie schon in MUJO mutiges Framing, gewagte Fahrten und viele Aufnahmen mit extremen Weitwinkelobjektiven. Das Format schrumpft von 1,66:1 auf 1,85:1 (im dritten Teil POEM wird es schließlich Cinemascope sein). Jissojis extremer Ansatz zeigt sich auch in der Geschichte. Obwohl linear erzählt, setzt der Film einiges an Grundwissen über die japanische Kultur voraus. Nicht wenige wird der Film wegen seines bombastischen Rundumschlags ratlos zurück lassen.
Bombast trifft den Nagel auf den Kopf, denn hier wird eine komplette Philosophie, die irgendwo zwischen Schamanismus, Buddhismus und Chauvinismus angesiedelt ist, auf die Post-68er losgelassen. Das macht es nicht leicht, in Jissojis Planspiel eine Grenze zwischen Sympathie oder Antipathie für den Sektengedanken herauszufiltern. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen und Freunden Nagias Oshima und Koji Wakamatsu war Akio Jissoji der revolutionäre Mensch zu wenig, er wollte den vollkommenen Menschen, losgelöst von allen „modernen“ Werten. Doch MANDARA steht nicht so wirklich im Einklang mit diesem Übermensch-Gedanken. Großgeist Jissoji wollte anscheinend den vollkommen zufriedenen Mann und nicht Menschen.

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In jedem Falle kann MANDARA die Entstehungszeit und der Gegenkulturkontext positiv angerechnet werden. Die Ahs und Ohs der Cineastenszene sind ihm definitiv gewiss, denn theoretisch könnte jedes einzelne Filmstill gerahmt an die Wand gehängt werden. Wird allerdings die Tendenz in Jissojis zukünftiger Sexfilmografie zurate gezogen, entpuppt sich der Filmemacher Akio Jissoji trotz Kunstanspruch und „Leben im Fluss steter Wandlung“ als typisch japanisches männliches Klischeeprodukt seiner Zeit. Mit seinem Überbau-Wust verschleiert Jissoji ganz geschickt den Kern seines intellektuellen Vergewaltigungs-Pinku Eiga. Denn reißt man diesem Kunst-Ungetüm mal das Fleisch vom Leibe und legt das Skelett frei, tun sich einige Philosophielöcher auf. Es ist zum Beispiel auffällig, dass ausschließlich Frauen diesen Vergewaltigungs-Initiationsritus über sich ergehen lassen müssen, denn der damals aufkommende Emanzipationsgedanke lässt sich nicht ganz in Einklang mit Jissojis Bückvieh-Utopie bringen.
Der Sektenführer erläutert ungefähr zur Filmmitte das weibliche Aufnahmeritual der Vergewaltigung, das in seiner Essenz auf die Zwangseinführung der freien Liebe hinausläuft: Das Wohlwollen der Frauen, dem Manne generell zur Verfügung zu stehen, sei heutzutage abhandengekommen. Die erotische Feinfühligkeit der Frauen sei mittlerweile verkümmert und soll durch den Gewaltakt wieder reaktiviert werden. Zu oft würde ein falscher Gebrauch des Wortes Liebe mit blankem Egoismus verwechselt werden, was schädlich für den Gemeinschaftssinn sei. Paradebeispiele für diese Degeneration ist das Pärchen Yutaka und Yasuko, Freunde des ersten Pärchens, die auch in den Kult eingeführt werden. Sie sind zu sehr dem marxistischen Idealismus einer der zig studentisch-revolutionären Splittergruppen dieser Zeit verbunden, also nicht reif für diese pseudo-ideale Gesellschaftsform.
Yatsuko begeht nach dem Aufnahmeritual Selbstmord, sodass Yutaka aus Rache (Gewalt produziert Gegengewalt) die Hohepriesterin oder Fast-Gottheit vergewaltigt und somit den „heiligen“ Boden der Sekte verseucht. Das ist der auffälligste Schönheitsfehler dieser Utopie, insofern sich das Publikum theoretisch darauf einlässt. Denn so losgelöst sind diese Idealisten dann doch nicht: Müsste die Priesterin, dieses fast transzendentale Wesen, ihren Missbrauch im Sinne der Sektenphilosophie nicht genießen oder zumindest gleichgültig reagieren? Schließlich ist sie von allen Gruppenmitgliedern diejenige, die sich von den Zipperlein des modernen Menschen am weitesten entfernt hat. Lernfähigkeit ist nicht die große Stärke der Sekte, denn ihre Folgerung aus diesen „Unfällen“ ist lediglich, sich einen neuen Standort zu suchen.
Dass eine ideale Gesellschaft, deren Fundament auf Gewalt gebaut wird, scheitern muss, hat die Menschheitsgeschichte oft genug gezeigt. MANDARA torkelt in der Summe seiner einzelnen Teile ganz arg in die Arme des Post-68er-Sektenbooms, als orientierungslose drogenverseuchte Jugendliche mit Liebe und Blumen im Hirn für jeden Manns-Gott zu haben waren, egal ob sie in einem Extrem Charles Manson oder im anderen Bhagwan hießen. Jissoji verwebt diese Ideal-Suche dann noch ganz unverblümt mit der generellen Machosteinzeit im japanischen Gehirn. Aber das sind nur meine bescheidenen Gedanken. Jeder, der sich wirklich mit der Wechselwirkung von japanischer Kultur und Buddhismus auskennt, wird hier vermutlich vehement widersprechen. Ich sage nicht, dass der Film schlecht ist, ich sage nur, dass Jissojis Utopie ganz ordentliche Macken hat.
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Arthouse-Exploitation-Gewichtung 60:40

Schulnote: 2

Dieser Film beschert Menschen einen unterhaltsamen Abend, die
THIS TRANSIENT LIFE (Akio Jissoji)
DISTANCE (Koreeda Hirokazu)
THE PROFOUND DESIRE OF THE GODS (Shohei Imamura)
mochten