THE ISLAND (Ostrov)

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Russland 2006
Regie: Pavel Lungin
Drehbuch: Dimitri Sobolew
Produzenten: Sergei Schumakow, Pavel Lungin, Olga Vasileva
Kamera: Andrei Zhegalow
Musik: Wladimir Martinow
Darsteller: Pjotr Mamonov, Dimitri Diuzhew, Viktor Sukhorukov
112 min

Der Slo-Mo-Holzhammer: Schuld und Sühne am Arsch der Welt

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Im Zweiten Weltkrieg wird der junge Matrose Anatoli von marodierenden Deutschen gezwungen, seinen Kapitän zu erschießen. Er selbst wird schwer verwundet und am Ufer eines abgelegenen Dorfes am Polarkreis von orthodoxen Priestern gefunden. Anatoli entdeckt aufgrund seiner Schuldgefühle seinen Glauben an Gott und wird Mönch. Sein wahrhaft unorthodoxes Verhalten bringt ihm im Russland der 70er den Ruf eines Wunderheilers ein, sodass immer wieder Menschen an das kalte Ende der Welt pilgern, damit sie Anatoli von ihren Gebrechen heilt.
Auch wenn seine Heilmethoden mit Hohn und Spott übersät sind: Sie bewirken etwas bei den Leidenden, was den konservativen Mönchen im Dorf ein Dorn im Auge ist. Wieder und wieder wird er gemaßregelt, wieder und wieder fährt er zu einer menschenleeren Insel, um Gott für seine Tat im Zweiten Weltkrieg um Vergebung anzuflehen…
Pjotr Mamonov, Rockmusiker und Schauspieler, mimte schon 1990 in Lungins Debüt TAXI BLUES den heiligen Narren, die repräsentativste Figur der russischen Kultur. Die extrovertierte Chaospsyche eines Moskauer Taxifahrers von 1990 weicht 2006 einem abgeklärten, sarkastischen Bruder, der in der nordrussischen Einöde zum etwas anderen Eremiten wird, fast wie sein Hauptdarsteller Mamonov, der sich Mitte der 90er vom Moskauer Trubel in ein abgelegenes Dorf zurückgezogen hat, ebenfalls auf der Suche nach sich und Gott.

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Pavel Lungin ist trotz des Themas und hinkenden Vergleichen mit Tarkowskis ANDREJ RUBLJOW nie wirklich ein subtiler Feingeist gewesen, siehe sein hysterisches Debüt TAXI BLUES oder der zwischen Aggression und Multi-Kulti pendelnde Nachfolger LUNA PARK. OSTROV ist ruhig in seinem Erzähltempo, ruhig in seinem Inhalt, aber die schlussendliche Moral der G’schicht ist Lungins gutes, altes Haudrauf-Gemüt. Diese Feststellung mag jetzt für glühende Fans von Lungins Meisterwerk abwertend klingen, soll aber lediglich auf die Offensichtlichkeit über dem Subtext verweisen. Trotzdem halte ich OSTROV im positiven Sinne für den vielleicht russischsten aller russischen Filme: Lungin vermittelt diese den Russen ganz eigene Traurigkeit, eine Traurigkeit, die wunderbar mit den Cinemascope-Bildern eines abgelegen russischen Dorfes am Weißen Meer harmoniert. Die Katharsis des Anatoli, inmitten dieser kargen nordeuropäischen Landschaft, ist es wert, mehrmals gesehen zu werden, nicht nur wegen der Bilder, sondern auch wegen seines wirklich hervorragenden Hauptdarstellers, gegen den die anderen Figuren fast schon zu steil abfallen.
Dabei ist es für das Publikum unwichtig, ob es religiös ist oder nicht. Jeder kann – auch losgelöst von religiösen Präferenzen – in seiner eigenen Sinnsuche schwelgen, über den Sarkasmus des Anatoli schmunzeln oder sich im (verhaltenen) Pathos des leider vorhersehbaren Plot Twists suhlen.
Das Einzige, was mich nach mehrmaligem Sehen immer mehr stört, ist der Prolog, der einfach so plump und klischeebeladen ist, dass ich wirklich die Vorspultaste zücken muss. Aber dann folgen noch 100 Minuten Winseln, Grinsen und pure Überwältigung.
reda

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Arthouse-Exploitation-Gewichtung 100:0

Schulnote: 1-

Dieser Film beschert Menschen einen unterhaltsamen Abend, die
ME TOO (Alexei Balabanow)
STALKER (Andrei Tarkowski)
ANDREJ RUBLOW (Andrei Tarkowski)
mochten

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