DER BOTE (Kuryer)

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Sowjetunion 1987
Regie, Vorlage (Roman): Karen Schakhnazarow
Drehbuch: Alexander Borodyanskiy
Kamera: Nikolai Nemolyaevw
Musik: Eduard Artemew
Darsteller: Anastasia Nemoljajewa, Oleg Bassilaschwili
87 min

Traurig-amüsantes Coming-of-Age-Drama während Glasnost

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Karen Schakhnazarows DER BOTE war einer der ersten Glasnostfilme überhaupt. Der Film wurde 1986 gedreht und hatte im Frühjahr 1987 die Ehre von Testscreenings. Nach den Vorführungen wurde anhand von Fragebögen statistisch ausgewertet, was das Film-Begehr des sich von der Sowjet-Doktrin lösenden Russen war. Die Ergebnisse waren eigentlich nicht anders als in der restlichen Welt. Liebe, Familie und Privatleben standen ganz oben, dann Filme über soziale Probleme oder eben die Perestroika und ganz am Ende mit immerhin 17% die „schwierigen“ Filme (was das auch immer heißen mag, aber vermutlich eher das, was ich hier bespreche). Neu war lediglich, dass überhaupt gefragt wurde. Wegen des jugendlichen Zielpublikums von DER BOTE wurde hier auch prompt reagiert und der Start hinter die Sommerferien gelegt.
Der Film war noch lange nicht so düster als das, was danach noch kam, doch warf er schon die essenziellen Fragen für den Nachwuchs auf, der extremen Nachholbedarf in Sachen Kapitalismus hatte.
Ivan ist untere Mittelklasse in einer Trabantenstadt, hat gerade die Schule und die Scheidung seiner Eltern hinter sich. Er überbrückt die Zeit zum Militärdienst mit einem Job als Bote. Hier lernt er Nadya, die Tochter eines Professors, kennen. Ivans frecher, aber kluger Humor verärgert Nadyas Vater nicht nur einmal. Logischer Folgepfeil: Die beiden Jugendlichen nähern sich an. Die alten sozialen Werte sind Ivan egal, er möchte viel Geld verdienen, eine schöne Wohnung und ein Häuschen auf dem Land haben. Er treibt sich mit seinen Breakdance-Kumpels rum und verhunzt auf dem Klavier auch gerne mal Klassiker. Als Nadyas Vater mal ein Wörtchen mit ihm reden will, lügt Ivan ihm vor, dass Nadya von ihm schwanger sei, sodass ihn der Vater, getreu seiner alten Schule, widerwillig akzeptiert. Nadya ist von der Lüge nicht begeistert, denn nun muss die noch zarte Bande wirklich mit Vögeln einzementiert werden, was die angehende Beziehung doch sehr auf die Probe stellt.

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DER BOTE, sehr schön in UdSSR-unbeliebten Cinemascope-Bildern umgesetzt, macht Spaß. Vor allem Ivans sarkastischer Humor bringt nicht nur Nadya zum Lachen. Eigentlich ist es nur die gute, alte Lower-Class-liebt-Upper-Class-Geschichte plus die Probleme, die sich daraus ergeben. Doch das steht hier nicht wirklich im Vordergrund. Die Diskrepanz der beiden Welten ist nicht groß genug, als dass da echte Probleme entstünden. Die echten Probleme werden bei einem Kaffeekränzchen im Haus des Professors offenbart, als die geladenen Eltern ihr Unverständnis über die Amoral der Jugend äußern, was in einer Protestaktion Nadyas endet.
Happy End gibt es natürlich keins. Doch obwohl sich Ivan und Nadya trennen, bleibt für beide die Erkenntnis, was dazu gelernt zu haben. Ein runder, ruhiger Schluss, ganz einfach aus dem Leben gegriffen, ohne erhobenen Zeigefinger. Einfach eine kleine, den Eisernen Vorhang übergreifende Geschichte, die jeder so ähnlich einmal erlebt hat. Nur vermutlich nicht in einer so wunderschön trostlosen Gegend.
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Arthouse-Exploitation-Gewichtung 80:20

Schulnote: 2

Dieser Film beschert Menschen einen unterhaltsamen Abend, die
KLEINE VERA (Vasili Pichul)
DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA (Heiner Carow)
IT DOESNT HURT (Alexei Balabanow)
mochten.

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