DON’T LET ME DIE ON A SUNDAY (J’aimerais pas crever un dimanche)

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Frankreich 1998
Regie/Drehbuch: Didier Le Pecheur
Produzent: Fabrice Coat
Kamera: Denis Rouden
Musik: Philippe Cohen-Solal
Darsteller: Jean-Marc Barr, Elodie Bouchez, Gerard Loussine, Zazie
87 (90) min

Eine Ü30er-Clique versucht ihre innere Leere mit sexuellen Grenzerfahrungen zu füllen.

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„Schmerz ist besser als Liebe, denn dadurch vergisst du die andere Person nicht.“ Das ist das Credo von Ben, der als Arzt in der Notaufnahme arbeitet. Er und seine Kollegen füllen die Ziellosigkeit ihres Lebens mit Pornos und Sexpartys. Nico, einer ihrer Freunde, hat HIV im Endstadium und liegt auf einer ihrer Stationen. Er wird von ihnen aus dem Krankenhaus entführt und in ein Seehaus geschafft, damit er seine letzten Wochen in Würde verbringen kann. Eines Tages wird die Party-Drogen-Leiche einer hübschen 19-jährigen eingeliefert. Alle reden von Sex mit Leichen, Ben macht es. Doch die vermeintliche Leiche erwacht beim Geschlechtsverkehr, heißt Teresa und ist äußerst dankbar, dass sie Ben ins Leben zurückgeholt hat. Ben, der wegen seiner sexuellen Eskapaden gerade von seiner Frau verlassen wurde, ist nicht gerade glücklich über sein Groupie. Doch Teresa wird schnell Teil der Clique, genau wie der etwas einfach gestrickte Ducon, der nach einem Selbstmordversuch ebenfalls mit Sex das Warten auf den Tod überbrückt.
DON’T LET ME DIE ON A SUNDAY war Ende der 90er bei den Kritikern nicht sonderlich beliebt. Die Besprechung von A.O.Scott in der New York Times war da repräsentativ: „The only thing Mr. Le Pecheur helps us understand is just how boring and empty a movie about sex can be.“
Belanglos, überflüssig, langatmig und banal sei der Film mit seiner Bestandsaufnahme von Thirty-Somethings, die die Leere ihres Daseins mit sexuellen Grenzerfahrungen füllen. Vielleicht fehlte da manchem Kritiker der erhobene Zeigefinger. Denn Le Pecheur macht nicht den Fehler, die Umtriebe der Gruppe zu werten, wenngleich auch in manchen Gesprächen ihr Überdruss hinterfragt wird. DON’T LET ME DIE ON A SUNDAY ist ein Zeitgeist-Porträt, das eben etwas tiefer in eine Subkultur, die eigentlich schon längst keine mehr ist, vordringt. Die „banal“ gescholtenen Gespräche sind für eine gewisse Zielgruppe durchaus repräsentativ. Schade nur, dass das ursprüngliche Ende, das auch auf dem Plakat zu sehen ist, nämlich die Nekrophilie mit vertauschten Rollen, aus dem Final Cut entfernt wurde.
Es ist heutzutage verwunderlich, dass ein Film wie dieser nach wie vor auf Unverständnis stößt. Mir fällt dazu spontan das 1968 erschienene „wissenschaftliche“ Buch „Grausamkeit und Sexualität“ eines gewissen Roland Villeneuve ein, der es sich als Gipfel der Doppelmoral nicht nehmen lässt, alle Foltergräuel dieser Welt akribisch zu beschreiben, aber die SM-Szene als „kranke Geister“ bezeichnet.

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DON’T LET ME DIE ON A SUNDAY hätte das Zeug zum Kultfilm, hätte er seine Chance (internationale Auswertung) bekommen. Er teilt das Schicksal der meisten Kultfilme: Für eine gewisse Zielgruppe ist so ein Film spannend, der Rest sucht gähnend das Weite. Um nicht die Hardliner, sondern die potenziellen Sympathisanten anzusprechen, muss ein Spektakelfaktor her. Gehen wir die Sache also mal anders an, mit den „Geistes-Verwandten“, vom Spektakel abwärts gesehen: FIGHT CLUB (1999/Vorlage:1996) ist eine Rundumschlag-Satire mit Zeitgeistbezug, wobei da der Schmerz schon Sex-Ersatz ist. CRASH (1996/Vorlage:1973) bleibt in seiner thematischen Übersteigerung selbst für die Body-Modification-Subkultur eine Utopie. Drei Filme Denys Arcands sind schon eher Geistesverwandte: LIEBE UND ANDERE GRAUSAMKEITEN (1993/Vorlage:1989) hat aber als Krimi-Element noch einen Serienmörder in petto, sein DER UNTERGANG DES AMERIKANISCHEN IMPERIUMS (1986) und die direkte Fortsetzung DIE INVASION DER BARBAREN (2003) widmen sich zwar ebenfalls den sexuellen Sorgen von Ü30ern und ihren späteren Ü50-Problemen, aber eher auf einer intellektuellen Ebene. Die sog. Grunge-Filme wie SLACKER (1991), SINGLES (1992), REALITY BITES (1994) etc. sind Twen-Dramen, denen allein schon aufgrund des Alters der Figuren die dekadent-sexuelle Komponente fehlt. Larry Clarks und Harmony Korines Filme kommen DON’T LET ME DIE ON A SUNDAY in puncto Sex, Leere und Tod am nächsten, sind aber ausschließlich an den Sorgen des Nachwuchses interessiert. Der „Markt“ wuchert dann auch. In Zeiten steigender Schulmassaker-Frequenzen gaukelt die Lust am Spektakel bigotte Betroffenheit vor. Aktuellstes und bedenklichstes Beispiel ist hier WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN, ein erzkonservatives Arthouse-Remake von DAS OMEN. Aber an den Problemen der Ü30er hat sich seit 1998 nicht viel geändert, eine filmische Auseinandersetzung findet nicht statt. Einem puritanischen Hollywood sind sadomasochistische Grenzerfahrungen immer schon zu heikel gewesen, der Rest der Welt scheint den potenziellen Markt verpennt zu haben. 15 Jahre nach DON’T LET ME DIE ON A SUNDAY wuchern Swingerklubs und SM-Partys. Die Leere, die Suche, die Ausflüchte haben zugenommen, doch wo sind die Filme darüber?
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Arthouse-Exploitation-Gewichtung 80:20

Schulnote: 2

Dieser Film beschert Menschen einen unterhaltsamen Abend, die
DER UNTERGANG DES AMERIKANISCHEN IMPERIUMS (Denys Arcand)
LIEBE UND ANDERE GRAUSAMKEITEN (Denys Arcand)
DIE INVASION DER BARBAREN (Denys Arcand)
mochten